Der Betriebsbahnof Tauer

Am 30. April 1996 fuhr ich an die Strecke Grunow-Peitz.Von mehreren Seiten hatte ich den Tip bekommen, daß im Betriebsbahnhof Tauer ein schönes Stellwerk stehen soll. Da wollte ich an diesen Tag hin. Sowohl mit als auch ohne PKW ist dieser Bahnhof aber schwer zu erreichen, da er mitten ,,in der Pampa“ liegt. Ich schreckte aber nicht vor dem 14km Fußmarsch von Peitz nach Jamlitz zurück, denn dazwischen liegt der genannte Bahnhof. In Peitz angekommen, fragte ich gleich beim Fahrdienstleiter nach Güterzügen. Der meinte, daß gleich die Übergabe nach Weichensdorf kommen soll. Also schnell ein Foto mit dem Stellwerk und ab gings.

Etwa auf halben Wege überholte mich eine 232er Lz. In wem keimt da nicht die Hoffnung, daß die Lok einen Zug holt? Die endlose Gerade durch den Wald wollte kein Ende nehmen, das Einfahrsignal war schon zu sehen, aber noch drei Kilometer entfernt. Als ich die Kurve kurz vorm Bahnhof erreichte, stand auf dem Überholgleis (der Bahnhof Tauer besitzt nur zwei Gleise) jene 232 mit einer langen Leine ,,Emil-Antons“. Puls- und Herzschlag schnellten in die Höhe, Schweiß lief auf die Stirn, die Hände begannen zu zittern – nein, so schlimm war es nicht, aber bei dem Zugangebot freut man sich über jeden außerplanmäßigen Güterzug. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, daß wahrheinlich erst der Triebwagen aus Cottbus kommen wird.

Also schnell eine Standaufnahme und dann zur Ausfahrt nach Grunow. Das Stellwerk war wirklich spitze, nur stand es leider auf der ,,falschen“ Seite. So nahm ich mir die Schranke als Motiv. Kaum hatte ich mich hingestellt ging das Fenster auf: ,,Der Güterzug fährt aber in die andere Richtung!“ – ,,Triebwagen – ja, der kommt gleich und der Nahgüter kommt auch noch!“ – ,,Gut, danke!“.

Kaum war der Triebwagen durch, geht das Fenster wieder auf: ,,Willst du den Güterzug auch noch haben?“ – ,,Na, wenn ich es schaffe wäre es Super“ – ,,Ich laß ihn noch ein bißchen stehen!“ -,,Fünf Minuten reichen“. Also renne ich schnell am Zug vorbei und stelle mich an die Ausfahrt. Und da fährt er auch schon los. Der Rangierer hängt sich aus dem Fenster und ruft – ,,Schick mal ein Bild, ist der letzte“. Langsam laufe ich zum Stellwerk zurück und bedanke mich. Der Hund steht im Fenster und knurrt mich an. Frauchen beruhigt ihm aber und sagt: ,,Der tut dir doch nichts!“. Nach dem wir noch ein paar Worte gewechselt haben, laufe ich weiter. Übrigens Glück gehabt, die Güterwagen haben 3 Jahre lang im Anschluß gestanden – heute wurden sie abgeholt. Einen Monat später am letzten Betriebstag wollen wir nochmal dorthin, diesmal zu zweit und mit Auto. Der Bahnhof ist sogar in der Karte eingezeichnet und auch eine kleine Straße, die dahin führt. Aber wo geht die ab?

Wir sehen eine PfIasterstraße, können aber nicht mehr bremsen. Also wenden und langsam ran! Diese entpuppt sich als Holperstraße der übelsten Sorte. Man muß aufpassen, daß man nicht aufsetzt. Größere Löcher sind mit Schwellen ausgebessert. Wenige hundert Meter vor der Strecke endet die Straße in einer Sandwüste.

Es hat keinen Zweck – wir müssen umdrehen. Also den nächsten Weg rein. Der ist zwar nicht gepflastert, aber besser befahrbar. Am Stacheldrahtzaun halten wir an. Der ist zwar eingerissen und der Weg frei, aber was nun? Wir probieren es. Mitten durch die Kaserne kommen wir etwas südlich vom Bahnhof an die Strecke.

Die Stellwerkerin erkennt mich sofort wieder. Während der halben Stunde, bis der Zug kommt, unterhalten wir uns. Heute ist ihr letzter Arbeitstag, berichtet sie. Ab Fahrplanwechsel wird das Stellwerk nicht mehr besetzt. Die Bahn hat ihr angeboten in Jamlitz zu arbeiten. Aber sie wollte nicht mehr. Noch anderthalb Jahre bis zur Rente – da kann man in den Vorruhestand gehen. Deswegen mußte sie nach Frankfurt, um alles zu klären. Aber dort wurde sie von einem Zimmer zum anderen geschickt – und alle redeten nur vom Geld, wieviel Abfindung sie bekommt und so weiter. Erniedriegend. Und dann fängt sie an, auf die Gesellschaft zu schimpfen und fordert die Mauer zurück – 10 Meter hoch. Auch gegen die Ausländer ist sie. Früher war sie VMT – Verantwortliche für Militärtransporte und daher kann sie perfekt Russisch. Und wenn irgendwelche jungen Russen Sprüche loslassen, quarkt sie die schon mal an. Eine Pistole hat sie auch. Neulich war sie in Polen. Da haben ihr an der Tankstelle zwei Polen die Scheibe geputzt und wollten Geld dalür. Als sie keines gab, wollten die Polen einen Spiegel abbrechen und meinten, der koste 50 DM. Da zog sie die Pistole, die im Handschuhfach liegt und weg waren sie.

Nebenbei versucht ihr Hund immer, in meinen Schuh zu beißen. Jaja meint sie, auf Schuhe steht er besonders. Zur Arbeit kommt sie immer mit ihren Trabi, der schon seit mehreren Jahren nicht mehr angemeldet ist. Aber da sie nur durch den Wald fährt und nicht weit weg wohnt, merkt das ja keiner. Rundherum war früher hier alles Truppenübungsplatz. ,,Da haben die Russen immer Krieg gespielt“. Zahlreiche Militärzüge wurden auf dem Anschlußgleis entladen. Deswegen war sie auch VMT. An ihren letzten Arbeitstag hat sie sich schick gemacht. Die Sachen sind schon alle gepackt. Den letzten Zug will sie anhalten und ein Autogramm geben lassen. Morgen muß sie auch noch zwei Stunden kommen, denn da kommen noch zwei Sonderzüge. Ihr Arbeitsvertrag läuft noch bis zum 1.8. Aber sie muß noch den ganzen Jahresurlaub nehmen – plus Resturlaub vom letzten Jahr. Hinzu kommt eine saftige Abfindung und 3 Monatsgehalte. ,,Bloß raus aus dem Laden – das macht doch keinen Spaß mehr!“

Und wie alle Bahnmitarbeiter schimpft sie auch auf die Bahn. Langsam kommt die Zeit und der Triebwagen wird vorgemeldet. So schnell zum Standpunkt. Damit der Zug nicht so schnell kommt, fragen wir sie, ob sie ihn etwas ,,stutzen“ kann – kein Problem.

Danach verabschiedeten wir uns und wünschen ihr alles Gute. Sie gibt uns noch ein Tip, wie wir besser zurück kommen – nämlich über Jamlitz. Der Waldweg ist besser, man kann mit 80 durchheizen. Am nächsten Tag fahren die beiden Sonderzüge. 528177 mit Fotogüterzug und 032204 mit VLV -Sonderzug.

Und so werden die Erlebnisse noch lange erhalten bleiben vom Bahnhof mitten im Übungsplatz.

© Michael Scheppan 1996

English for You – oder – One Ticket to Berlin please!

(Volker Reiche) Zugegeben, ldeenlieferant zu diesem Artikel war ausnahmsweise mal nicht die Keks-AG sondern die ebenso geliebte Telekom, die uns einen Werbebrief zum Thema ISDN ins Haus bescherte.

Mein Vater schickte diesen Brief postwendend zurück und bat um deutsche Übersetzung dieses stark mit englischen Fachbegriffen durchsetzten Briefes.

Dabei kam mir mal wieder unsere gute, alte Keks-AG in den Sinn, deren neueste Innovationen vom deutschen Volk häufig nicht so recht verstanden werden, da sie in der Regel mit englischsprachigen Namen versehen werden. Warum? Keine Ahnung, aber offensichtlich ist man der Meinung, daß viele Begriffe auf englisch irgendwie besser klingen.

Ist auch richtig, ein Zug namens „Interstadt“ klingt irgendwie blöd. Intercity klingt da eindeutig besser. Der internationale Bruder des IC heißt bekanntlich Eurocity. Zu deutsch Eurostadt. Klingt genauso blöd wie Interstadt. Doch Eurostadt könnte auch als Abkürzung interpretiert werden. Zum Beispiel für Europastadt. Klingt schon weniger blöd. Aber daß sich hinter diesem Begriff eine Zuggattung verbirgt, darauf würden wohl die wenigsten kommen.

Nachts fährt anstelle des EC der Schlafwagenzug mit dem wohlklingenden Namen City-Night-Line. Man kann sich unter diesem Begriff etwas vorstellen, ohne die genaue Übersetzung zu kennen. Doch wer die Übersetzung kennt, der wird sich fragen, was bitteschön eine ,,Stadtnachthnie“ ist. Ich stelle mir unter diesem Begriff eher die nächtlichen Bus- oder Straßenbahnverbindungen der Halleschen Verkehrs-AG (HAVAG) vor. Daß eine ,,Stadtnachtlinie“ aber ein internationaler Schlafwagenzug ist, darauf muß man erst mal kommen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Intercity-Night und dem Euro-Night. Interstadtnacht klingt unlogisch. und daß Euronacht ein Zug ist, läßt sich aus dem Begriff auch nicht erkennen. Es könnte sich dabei auch um die weißen Nächte von Leningrad (Pardon, St Petersburg) handeln.

Der schnellste Zug, der Jungs vom großen Keks ist der brückeneinreißende Intercity Express. Hier kann man aus der Übersetzung „Interstadt-Express“ sogar erkennen, daß es sich dabei irgendwie um einen Zug handeln muß. Wahrscheinlich um eine Art S-Bahn oder einen beschleunigten Vorortzug.

Immerhin besteht bei dem lnterstadt Express eine starke sprachliche Verwandtschaft mit dem Stadtexpress. Den gibt es ja bekanntlich auch, er pendelt z.B. zwischen Halle und Leipzig mit Zwischenhalt in Schkeuditz. Ist also der ICE so etwas ähnliches? Nun, jeder weiß, das er es nicht ist Mit 250 km/h wäre er auch etwas schnell dafür.

Dem GB Cargo (jetzt DB Cargo AG) scheint es ja nicht gerade an Selbstvertrauen zu mangeln. Immerhin prangt an jeder neulackierten Cargo-Lok der bekannte Schriftzug „DB CARGO“, der zuweilen als ,,DB CHAOS“ übersetzt wird. Diese Übersetzung ist jedoch falsch (auch wenn sie in der Realität häufig zutreffend erscheint). Cargo heißt auf deutsch schlicht und einfach Fracht. Nun stelle man sich eine 108 (Pardon, 298) vor, auf der stolz und selbstbewußt der Schriftzug ,,DB Fracht“ prangt. Sähe wahrscheinlich leicht dämlich aus

Doch es geht noch weiter. So wollte Onkel Heinz ja einmal den Begriff „Bahnhof“‚ abschaffen. Er sollte ersetzt werden durch den Begriff „Zughafen“ – natürlich auf englisch, es hätte dann „Trainport“ geheißen. Spinnen wir den Faden ein mal etwas weiter:

Nachdem man also mit der Tram (Straßenbahn) auf dem Trainport (Bahnhof) der German Rail (Keks- AG) angekommen ist, holt man sich erst einmal im Tickethouse (Fahrkartenausgabe) sein Ticket (Fahrkarte). Man erkundigt sich danach beim Service-Point (Information), ob es schon neue Railbooks (Kursbücher) gibt. Danach geht man zu seiner Railplattform (Bahnsteig) und wartet auf seinen Intercity (das Thema hatten wir schon). Nachdem man da eingestiegen ist, zeigt man sein Ticket den Guard (Schaffner), der mit seiner Pinchers (Zange) einen Pinchers-Pressing (Zangenabdruck) auf dem Ticket hinterläßt. Dabei fährt man am Rail-Tower (Stellwerk), auf größeren Trainports und Central-Trainports (Hauptbahnhöfe) auch Central-Rail-Tower (Zentralstellwerk) geheißen, von dem der Train-Manager (Fahrdienstleiter) friendly (freundlich) grüßt.

Sieht so die Future (Zukunft) unserer Bahnreisen aus? Und vor allem, warum diese Anglismen? Ist die deutsche Sprache am Ende? Ich glaube nicht, man muß sich bloß etwas Mühe geben, und schon findet man für all diese Anglismen auch logisch klingende deutsche Namen. Außerdem lohnt sich auch ein Blick in die Vergangenheit, als es schon Eisenbahnen, aber noch keine Anglismen gab. Da hieß ein Zug, in etwa vergleichbar mit dem IC (wenn auch viel langsamer) schlicht Städteexpress und gehörte zu den Expresszügen (Express). Dazu gehörte auch der Internationale Expresszug (IEx), vergleichbar mit dem EC.

Schaut man in ein altes Kursbuch der dreißiger Jahre und schaut sich die damaligen Triebwagen-schnellverbindungen an, so stellt man fest, daß sie nicht als ICE sondern als FDt (Fernschnelltriebwagen) unterwegs waren.

Nur hieß die damalige Bahnverwaltung noch Deutsche Reichsbahn und nicht Deutsche Bahn AG (demnächst German Rail?). Doch warum ausgerechnet Englisch? Es gibt doch noch andere Sprachen. Liegt es daran, daß die englischsprachige USA seit 1945 der kapitalistische Bruder Deutschlands ist? Doch die DDR war bis 1989 eigenständig, unser sozialistischer Bruder war die Sowjetunion. Trotzdem sprechen wir im Osten noch nicht russisch.

Aber was wäre, wenn wir es doch täten? Wie würde das klingen? Testen wir es doch einfach mal an: Nachdem mal also mit der Tramway (Straßenbahn) auf dem Woksal (Bahnhof) der Nemjetzkaja Schelesnaja Daroga (Keks AG) angekommen ist, holt man sich erstmal in der Billjettnaja Kassa (Fahrkartenausgabe) sein Billjet (Fahrkarte). Man erkundigt sich danach bei der Informazija (Information), ob es schon neue Schelesnodoroschnij Sprawotschniki (Kursbücher) gibt. Danach geht man zur Platforma (Bahnsteig) und wartet auf seinen Gorodnij Express (Intercity). Nachdem man eingestiegen ist, zeigt man sein Billjet dem Konduktor (Schaffner), der mit seiner Kleschi (Zange) einen Kleschij Ottisk (Zangenabdruck) auf dem Billjet hinterläßt. Dabei fährt man am Zentralisatzii Strelok i Signalnow (Stellwerk) vorbei, von dem der Scheschurnuij (Fahrdienstleiter) freundlich grüßt. Klingt zwar ungewohnt, aber warum nicht.

Wäre doch mal eine Abwechslungt.

In diesem Sinne, Na sdarowje

(C) 1997 Volker Reiche

Leipzig – Des Trauermärchens zweite Runde

Im Bahn-Kurier 47, 3/97, erschien anläßlich der Neueröffnung des Leipziger Hauptbahnhofes damals mein Artikel „Leipzig – Ein Trauermärchen“. Ich fand damals, es sei notwendig, nicht nur in das damals offiziell verordnete Jubelgeschrei über die Verwandelung eines der größten deutschen Personenbahnhöfe in einen Mega-Konsum-Tempel einzustimmen. Nun, zehn Jahre später, wollen wir doch mal sehen, was aus meinen damaligen Prophezeihungen geworden ist.

Zuerst die traurigste Nachricht: Mein getreuer, alter Trabi hat das Jahr 2007 leider nicht mehr erlebt, er fuhr bereits 1999 knatternd in den ewigen Autohimmel. Ich glaube, hier ist jetzt eine Schweigeminute angebracht.

Doch nun die gute Nachricht: HELMUT KOHL IST WEG!!! Sah es noch 1997 so aus, als würden wir den dicken Pfälzer nie vom Halse kriegen, so war er binnen Jahresfrist verschwunden und Deutschland konnte Ende September 1998 endlich befreit aufatmen. Eine Kanzlerschaft des Dicken bis 2007 blieb uns und unserem Lande glücklicherweise erspart. Bei vielen weiteren Prophezeihungen kann ich feststellen, daß sie, zumindest in ähnlicher Form, eingetroffen sind.

Nennt mich also ab sofort Nostravolkerus und betet mich an, ihr ungläubigen Hunde!! Doch Spaß beiseite, ob es unbedingt so gut für unsere Eisenbahn ist, was in den letzten 10 Jahren passierte, darf wohl bezweifelt werden. Wenn es nur um die Börsentauglichkeit geht, dann ist es wohl besser, Herr Mehdorn läßt seine Finger von der Bahn (Verzeihung, das heißt ja jetzt DIE BAHN) und bäckt Plätzchen. Damit kann er von mir aus an die Börse gehen, damit richtet er jedenfalls nicht soviel Schaden an als mit einer börsentauglichen Rumpf-Bahn, die dann womöglich noch von irgendwelchen Hedge-Fonds geschluckt und endgültig zur Sau gemacht wird.

Doch noch eine gute Nachricht ist zu vermelden: Das von mir vorhergesagte Streckensterben im Westerzgebirge hat (bislang) noch nicht stattgefunden. Im Gegenteil, die Erzgebirgsbahn, eine Tochter von DB Regio, hat die Strecken saniert und fährt einen modernen SPNV in dieser Region, ergänzt durch die private Vogtlandbahn. Doch worauf ich damals vor zehn Jahren überhaupt nicht eingegangen bin, obwohl er damals schon in Planung war, ist der City-Tunnel Leipzig.

Ich konnte mir halt wirklich nicht vorstellen, daß halbwegs gesunde Menschen zu solch einem Schwachsinn fähig sind. Doch mittlerweile wird unter Leipzig kräftig gebohrt. Erdöl wird man dabei wohl keins finden, auch wenn dies die letzte Chance wäre, die explodierenden Kosten wenigstens etwas einzudämmen. Aber es ist in den letzten 10 Jahren etwas passiert in Leipzig. Wann genau es geschah, weiß ich nicht. Es hat wahrscheinlich keiner gemerkt. Doch irgendwann fühlte sich die Stadt Leipzig, mit ihren rund 500 000 Einwohnern sowohl im nationalen, vor allem aber im internationalen Maßstab eher eine größere Provinzhauptstadt, zur Weltstadt vom Range Londons, Roms oder Tokios berufen. Die Olympiabewerbung Leipzigs, über die sich der Rest des Landes eher amüsierte, tat diesem Ego auch nicht besonders gut, genauso wenig wie die Fußball-WM. Aber nun hat Leipzig ein WM-Stadion, man ist also eine Fußballstadt.

Dumm ist nur, daß die derzeit hochrangigste Leipziger Fußballmanschaft in der Amateur-Oberliga Nordost herumkickt und sich dort packende Duelle mit Weltklasse-Klubs vom Range eines FC Eilenburg oder VfB Sangerhausen liefert.Aber egal, wenn Leipzig etwas haben will, sei es ein neuer Bahnhof, ein Tunnel, ein Mega-Stadion oder neue Autobahnen, dann bekommt es Leipzig auch. Und wer bezahlt? Natürlich nicht Leipzig, nein, wir alle mit unseren Steuern und dem Solidaritätszuschlag! Das da mittlerweile einige westdeutsche Kommunen, im Vergleich mit Leipzig unbedeutende Kleinstädte wie Dortmund, Köln oder München, nun mittlerweile den Sinn dieses Zuschlages bezweifeln, ist vor diesem Hintergrund durchaus verständlich. Bitte versteht mich hier nicht falsch. Den Sinn des Solizuschlages an sich will ich hier gar nicht in Frage stellen. Dank der von Helmut Kohl komplett vor die Wand gefahrenen Wiedervereinigung Deutschlands werden wir ihm (leider) wohl noch lange brauchen. Aber er darf nicht zur Finanzierung irgendwelcher Prestigeobjekte größenwahnsinniger Provinzfürsten mißbraucht werden. Er sollte vielmehr in eine Schwerpunktförderung umgewandelt werden, die allein nach wirtschaftlichen Kenndaten erfolgt, ohne Berücksichtigung der geographischen Lage. So gibt es auch in Westdeutschland durchaus Regionen, die trotz entsprechender Infrastruktur schlechtere Wirtschaftsdaten und eine höhere Arbeitslosigkeit aufweisen, als z.B. Leipzig.

Ein solches Beispiel wäre unter anderen Gelsenkirchen. Nur liegt eben Gelsenkirchen nicht im Osten, also bekommt es gar nichts, während in Leipzig die Gelder sinnlos verpulvert werden. So bekommen wir in unserem Lande wohl kaum eine echte Solidarität hin.

Aber wagen wir doch erneut einen Blick in die Zukunft. Werfen wir noch ein paar Kohlen auf das Feuer und werfen einen Blick in meine magische Kristallkugel. Nun wir sehen seltsame Schleier und Nebelfetzen.

Hmmm, ich glaube ich sollte das Ding erst mal wieder putzen, außer Schleiern und Flecken sieht man ja gar nichts mehr. Also, zweiter Versuch, noch ein paar Kohlen auflegen, Dampfdruck prüfen (ja, ich weiß, es gibt mittlerweile auch schon magische Kristallkugeln mit Stecker dran, aber Dampfantrieb ist nun mal romantischer!) und schauen erneut in die Kugel. Aah, die Nebel lichten sich, ich sehe Umrisse, ja, wir sind in Leipzig im Jahre 2017 angekommen. Also schauen wir uns mal um. Das erste, was einem in Leipzig auffällt, ist die gewaltige Größe der Stadt. Kein Wunder, ist doch Leipzig mit rund 1,2 Millionen Einwohnern nach Berlin, Hamburg und München mittlerweile die viertgrößte Stadt in Deutschland und hat Köln auf Rang 5 abgedrängt.

Nur, wie hat es Leipzig geschafft, so schnell zu wachsen? Vor zehn Jahren waren es nur halb so viele Einwohner. Nun, schlichtweg durch Eingemeindungen. Man hatte irgendwann einmal festgestellt, das Leipzig mit seinen 500 000 Einwohnern als selbstgewählte Metropole von internationalem Rang eher lächerlich wirkte. Nun mußten auf Biegen und Brechen Einwohner her. Also wurde im gigantischem Stil eingemeindet. Städte wie Wurzen, Grimma, Borna, Döbeln, Rochlitz, Mittweida, Oschatz und Riesa sind mittlerweile Stadtteile von Leipzig geworden. Auch Halle, Merseburg und Weißenfels sollten eingemeindet werden, man war in Leipzig schon in voller Fahrt, da stellte man entsetzt fest, daß es da ja noch eine Landesgrenze gab. Man hatte ganz vergessen, daß (noch) nicht ganz Ostdeutschland zu Sachsen gehört. Und einzig und allein dem Schutz dieser Landesgrenze haben es die Hallenser, Merseburger und Weißenfelser zu verdanken, daß sie bis heute frei und unbesetzt leben können. Auch die Städte Delitzsch, Eilenburg und Torgau mit ihren ehemaligen Landkreisen suchten den Schutz der anhaltinischen Landesgrenze und erinnerten sich auf einmal des Wiener Friedensvertrages von 1815, nach dem sie infolge des napoleonischen Krieges zur preußischen Kriegsbeute wurden. Um der drohenden Eingemeindung nach Leipzig zu entgehen, wechselten sie nach einer Volksabstimmung im Mai 2011 zurück ins heimatliche Sachsen-Anhalt. Mittlerweile droht dem Freistaat Sachsen sowieso bald die Zwangsauflösung, da neben dem Verlust der genannten Landkreise andererseits die Stadt Leipzig, die nun fast an Dresden und Chemnitz grenzt, ein eigener Stadtstaat nach dem Vorbild von Berlin, Hamburg oder Bremen werden möchte. Restsachsen wäre danach für ein eigenes Bundesland zu klein, es droht die Aufteilung zwischen Brandenburg, Bayern und Thüringen. Doch schauen wir uns doch einmal die Verkehrssituation in Leipzig an.

Einen klassischen Regionalverkehr gibt es nicht mehr, aufgrund der Eingemeindung halb Sachsens zählt dies nun alles als S-Bahn. Durch diese S-Bahn-Linien hat nun der City-Tunnel Leipzig, der mit mehrjähriger Verspätung erst im Dezember 2015 eröffnet werden konnnte, wenigstens 57% der vorher zugrundegelegten Auslastung erreicht. Dafür sind aber die Baukosten noch einmal um 75% angestiegen. Dabei sind noch nicht einmal alle Folgeschäden des Tunnelbaues beseitigt. Zwar konnte der Portikus des Bayerischen Bahnhofes, der beim Zurückverschieben im Februar 2014 einstürzte, mittlerweile wieder aufgebaut werden, das Alte Rathaus ist aber nach wie vor gesperrt, der 2012 aus Sicherheitsgründen angetragene Rathausturm soll auch erst im nächsten Frühjahr wieder aufgebaut sein. Doch zurück zum City-Tunnel. Ab Fahrplanwechsel soll sich dessen Auslastung wesentlich verbessern. Es werden einfach alle nach Leipzig Hbf einfahrenden S-Bahnen aus Richtung Halle, Bitterfeld, Eilenburg, Leipzig-Riesa (über L.-Oschatz, L.-Wurzen oder über L.-Döbeln, L.-Grimma), Leipzig-Geithain (über L.-Lausick) swie Gera (über Zeitz) zum neugeschaffenen S-Bahn-Knoten Leipzig-Borna durchgebunden werden. Damit hätte der Unsinn, alle aus Leipzig-Riesa ankommenden S-Bahnen nicht mehr direkt zum Hbf, sondern erst einmal rings um die Stadt und dann durch den Tunnel zu fahren, ein Ende. Die Dresdener Regionalzüge fahren natürlich weiterhin erst einmal um die Stadt herum durch den Tunnel zum Hauptbahnhof. Auch der Regionalverkehr aus Zwickau und Chemnitz, der ja sowieso vom Süden her kommt, nutzt dan nach wie vor den Tunnel. Ein weiterer schöner Nebeneffekt ist die Entlastung des Hauptbahnhofes vom S-Bahn-Verkehr. Somit können nun auch die Gleise 14-20 abgebaut werden um Baufreiheit für eine Erweiterung des Parkhauses sowie weitere Ladenflächen zu schaffen. Einziger Wermutstropfen ist, daß einige Verkehrsfachleute nun eine Überlastung des Tunnels befürchten. Doch dies ist nun auch kein Problem, Bundesverkehrsminister Burkhart Jung, Nachfolger des zum EU-Kommissar avancierten Wolfgang Tiefensee (warum werden auf einmal alle ex-Bürgermeister von Leipzig Bundesverkehrsminister?), hat schon eine Studie zum Bau einer weiteren, parallel verlaufenden Tunnelröhre in Auftrag gegeben. Das passiert halt, wenn man den Bock zum Gärtner macht. Doch auch bei der LVB gibt es interessante Neuigkeiten. So ist die LVB das einzige Nahverkehrsunternehmen mit einer regulär verkehrenden Pferdebahn. Im Zuge der Eingemeindung Döbelns im Jahre 2012 wurde auch die 2007 als Touristenattraktion wiedereröffnete Pferdebahn von der LVB übernommen, die hierhin gleich einige ihrer unbeliebten Niederflurbeiwagen umsetzte. Zwar sind die Wagen für einen normalen Pferdebahnbetrieb zu schwer, doch in Leipzig denkt man in wesentlich größeren Dimensionen und fährt die Pferdebahn jetzt sechsspännig. Die grottenschlechten Laufeigenschaften der Wagen fallen jedenfalls beim Zuckeltrab der Pferde nicht so sehr auf. Trotzdem hagelt es mittlerweile Beschwerden der Einwohner des Stadtbezirkes Leipzig-Döbeln, die ihre historischen, liebevoll aufgearbeiteten Wagen wiederhaben wollen, die zum einen natürlich wesentlich besser in das Ambiente einer historischen Pferdebahn passen, andererseits aber auch bessere Laufeigenschaften als die Niederflurbeiwagen haben. Mal sehen, was dabei herauskommt. Andererseits waren ja die Dresdener Verkehrsbetriebe vor gut 15 Jahren mächtig stolz auf ihre neuen Niederflurzüge vom Typ NGT 8 DD, die damals mit einer Länge von 41,02 m die längsten Straßenbahntriebwagen in Europa waren. Nun darf natürlich Dresden nichts haben, was Leipzig nicht auch haben könnte. Nicht, daß jetzt Leipzig auch den NGT 8 DD beschafft hätte, nein, man ließ sich unter der Bezeichnung classic XXL gleich einen noch längeren Zug bauen, der nun 45,09m maß! Nun darf man dabei auch nicht übersehen, das der Dresdener NGT 8 DD eine Weiterentwicklung des Dresdener NGT 6 DD war, während er in Leipzig einen komplett neuen Typ darstellte. Zumal parallel dazu der in Leipzig entwickelte und gebaute Leoliner, also wieder ein komplett anderer Typ, beschafft wurde. Zusammen mit den schon vorhandenen Wagen der Typen T 4D, T 6 und NGT 6 ergab sich somit in Leipzig ein knatschbunter Wagenpark, bei dem so gut wie nichts miteinander kompatibel war. Doch dann besaßen die Dresdener Verkehrsbetriebe die Frechheit, ebenfalls classic XXL, unter der Bezeichnung NGT D 12 DD, zu beschaffen. Also mußte sich Leipzig den Ruhm der längsten Straßenbahn in Europa mit Dresden teilen. Dies konnte nicht so bleiben, also wurde der LVB-Vorstand aus dem Betriebsurlaub in Brasilien zurückgeholt und es wurde beraten. Ergebnis war,die Beschaffung des Leoliners auszusetzen, bereits fertige oder im Bau befindliche Züge wurden nach Halberstadt verkauft. Anstelle des Leoliners wurde nun ein Megaliner mit 56,8 m Länge konstruiert und ab 2013 beschafft. Solange mußten die letzten T 4D halt noch durchhalten. Doch um zu verhindern, erndeut im Rennen um die längste Straßenbahn in Europa geschlagen zu werden, wurde aus dem Megaliner gleich der Hyperliner entwickelt. Er besteht im Prinzip aus zwei festgekuppelten Megalinern. Durch den Wegfall von zwei Führerständen ergibt sich beim Hyperliner eine Gesamtlänge von 110,4 m! Ab 2015 gingen dann die Hyperliner mit viel Tamtam in den Einsatz. Leipzig hatte es mal wieder geschafft und es aller Welt gezeigt. Man hatte nun nicht mehr die längste Straßenbahn Europas, sondern die längste Straßenbahn der Welt! Mit den Hyperlinern werden Schnellbahneinsätze gefahren, die in der Innenstadt aufgrund des kurzen Haltestellenabstandes nur an jeder zweiten Haltestelle halten müssen. Wer dazwischen aussteigen will, der steigt halt hinten ein, läuft bis ganz vor und steigt wieder aus, da er, ohne einen Meter gefahren zu sein, schon an der nächsten Haltestelle angekommen ist. Das ist sächsischer Erfindergeist, wie wir ihn lieben. Mit einem letzten Zischen geht auf einmal meine dampfbetriebene magische Kristallkugel aus. Dampfmangel! Nun, ich habe genug Unsinn gesehen. Bin ja einmal gespannt, was davon in den nächsten 10 Jahren wirklich eintritt. Warten wir halt bis 2017, dann werden wir mehr wissen. Und ich muß jetzt erst einmal den Kessel meiner magischen Kristallkugel ausschlacken.

In diesem Sinne

Euer Volker Reiche

Urlaub am Kirchmöser Berg – Meine besten Eisenbahnerlebnisse

Eine Einladung von Karlheinz, einem ehemaligen Studienkollegen meines Opas in seine Datsche führte mich vor der Wende Anfang Juni 1983 und im Juli 1984 gleich zweimal nach Kirchmöser bei Brandenburg. Als Schüler boten sich bei mir die Sommerferien an, um in den Havelseen bei Brandenburg auch baden gehen zu können. Außerdem lud mich der Gastgeber ein, mit seinem Motorsportboot “Corsar“, Marke Eigenbau, die Seenkette um Kirchmöser zu erkunden. Die Stadt Brandenburg liegt ca. 12 km entfernt.

Und es sollte sich lohnen, denn ich erlebte die Deutsche Reichsbahn in einer Zeit, als die Dampftraktion in dieser Region noch eine gewisse Bedeutung hatte. Zusehen waren in Brandenburg fast ausschließlich Güterzugdampfloks der BR 52.8 des dortigen Betriebswerkes mit seinen beiden Betriebsteilen Hauptbahnhof und Altstadt. Ein Jahr zuvor fuhr für einige Tage noch eine Dampflok der BR 01.5 (01 1512) vor einem für die sowjetischen Streitkräften vorbehaltenen Schnellzug auf der Magistrale Berlin-Magdeburg. Ansonsten war die Zeit der Schnellzugdampflokomotiven und anderer Dampflokbaureihen hier längst Geschichte.

Von den Transitzügen her kannte ich bei der Durchfahrt durch den Bahnhof Brandenburg das Bahnbetriebswerk, auch wenn die mitfahrenden “Trapos“ (Transportpolizei) oftmals keine Freude an den neugierigen Blicken aus den offenen Fenstern hatte. Danach waren erst wieder die Durchfahrten in Magdeburg und Eilsleben interessant.

Irgendwie waren Einreisen in die DDR immer ziemlich spannend, als ob man weit weg fährt oder ein besonderes Abenteuer bestehen muss. Dementsprechend überlegt erfolgte auch die Vorbereitung. Für so eine Reise durfte mein Voigtländer-Fotoapparat (später eine Practica MTL 3) und natürlich die Familien-Super-8-Filmkamera nicht fehlen. Nur eins vergaß ich. Ich fuhr los, ohne zu wissen, ob Filmen überhaupt erlaubt war.

Angekommen am Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße dauerten die Kontrollen überdurchschnittlich lange, weil ausgerechnet die Fußball-Wimpel für die Enkel von Karlheinz Ärger einbrachten und kurzerhand beschlagnahmt wurden. Aber die von mir errechnete Übergangszeit reichte dann schließlich noch aus und ab ging es in die S-Bahn in Richtung Lichtenberg, um den DR-Binnen-Schnellzug D 642 nach Halberstadt zu erreichen. Die von der Ostsee bis in den Harz über 460 km geführten Schnellzüge (Stralsund-Neubrandenburg-Berlin-Halberstadt) waren bereits 1983 mit die letzten wirklichen Langläufer für die in der Sowjetunion gebauten Großdiesellokomotiven der Baureihe 132 (auch “Ludmilla“ genannt). Der Abschnitt Neustrelitz- Berlin- Potsdam (- Werder) war zwar dann ab Mitte der achtziger Jahre elektrifiziert, führte aber bei diesen Zügen ausnahmsweise nicht zu den häufig angewendeten Umspannaktionen (von Diesel-auf Ellok und dann wieder von Ellok auf Diesellok), um Kraftstoff einzusparen.

Verspätungen waren bei diesem Zug nicht gerade selten und so holten wir unsere ersten Minuten am vollkommen überlasteten Nadelöhr Berliner Außenring bei Schönefeld. Auf dem Berliner Außenring stellte der Abschnitt zwischen Berlin-Schönefeld und dem Dresdener Abzweig einen betrieblichen Engpass dar, weil sich dort fast der gesamte Verkehr aus dem Süden von und zur DDR-Hauptstadt bündelte. Zeitweise durfte auf diesem Abschnitt aus Leistungsfähigkeitsgründen zu Lasten der Sicherheit auf Anordnung permissiv also auf Sicht gefahren werden.

Weitere Verspätung kam für unseren Zug noch an irgendwelchen Langsamfahrstellen hinzu. Die 132 hatte trotz ihres Leistungsvermögens einfach keine Chance die Verspätung wieder einzuholen. Immer wieder stand der Zug auf freier Strecke. Zu jener Zeit regte sich jedoch keiner darüber auf, weil es alltäglich war. Aber es gab ja noch den Imbiss- und Getränkeverkauf, der ein emsiges Kommen und Gehen im Zug verursachte. Mit der “Jungen Welt“ des Abteilnachbarn ließ sich die Zugfahrt ganz gut ertragen. Ab Werder konnte der Zug endlich Fahrt aufnehmen und die Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h bis Brandenburg ausfahren.

Dort erwartete mich Karlheinz und es ging erst einmal in die Stadt, natürlich nicht ohne vorher vom Bahnsteig einen Blick in das direkt gegenüber liegende Bahnbetriebswerk (Bw) zu erhaschen. Es qualmte wie immer mächtig vom Bw rüber und im Gegensatz zu Karlheinz konnte ich mich darüber freuen.

Das Stadtzentrum von Brandenburg war entsprechend der DDR-Verhältnisse marode, aber das Straßenbild mit den vielen geschäftigten Menschen hinterläßt bei mir bis heute ein eindrucksvolles Bild. In Brandenburg besuchten wir in der Nähe der skurril wirkenden “Digitalen Uhr“ eine ansprechende Gaststätte mit Fischgerichten. Nach einer kleinen Wartezeit bekamen wir unseren Tisch zugewiesen. Schließlich versuchte ich noch in einem großen Buchladen einige meiner Urlaubstagegelder auszugeben. Man mußte für jeden Urlaubstag 25 DM in 25 Mark (Ost) umtauschen.

Weiter ging es mit Karlheinz altem Moskwitsch von Brandenburg nach Kirchmöser-Dorf. Die Datsche von ihm existiert heute noch und ist keine 100 Meter von der in einem Einschnitt gelegenen Strecke Berlin-Magdeburg entfernt. Egal, ob ich auf der Strecke war oder auf der Datsche,…die tagsüber im Blockabstand durchfahrenden Züge waren für mich vor allem akustisch ein tolles Erlebnis. Die Ludmillas (BR 132) heulten noch ohne Schallisolierung und die V100 und die 118er waren unter Vollast zu erleben. Nur die vorbeidampfenden Brandenburger Dampfloks der Baureihe 52.8 rollten mit Ausnahme der in Kirchmöser anfahrenden Maschinen vergleichsweise leise an uns vorbei. Da ich damals noch keine Umlaufpläne besaß, verpasste ich die erste Zeit natürlich immer die durchfahrenden 52er. Ich versuchte mir aber die ungefähren Durchfahrzeiten zu merken. Trotz der Verspätungen konnte ich mich an den folgenden Tagen gut daran orientieren.

Es waren bis zu zehn 52.8 beim Bahnbetriebswerk Brandenburg mit seinem Betriebsteil Altstadt (zugleich Werkstatt) im Einsatz und es schien sich Anfang bis Mitte der achtziger Jahre nicht viel zu ändern. Die 52er kamen fast schon im Zwei-Stundentakt auf der faszinierenden Hauptstrecke zum Einsatz. Wo gab es zu jener Zeit noch Hauptbahndampf mit so einer regelmäßigen Belegung? Mit dem Fotografieren hatte ich in der Praxis eigentlich nie Probleme. Als günstig erwies sich, dass Karlheinz gleich am ersten Tag nach der Besucheranmeldung mich mit dem einzigen ABV (Abschnittsbevollmächtigten) im Ort bekannt machte.

Er war auch eisenbahninteressiert und daher unterhielten wir uns über die “so selten gewordenen alten Dampfloks“. Gegen das Fotografieren hatte er nichts einzuwenden. Irgendwann später wurde mir dann aber doch ein Zwischenfall berichtet. Die immer sehr freundlich auftretende ältere Nachbarin von Karlheinz erzählte ihm eines Tages ganz aufgeregt, dass auf der Brücke ein Mann auffällig fotografieren würde und bestimmt ein Spion wäre. Sie fügte dann aber hinzu, dass der von ihr daraufhin angesprochene Reichsbahner im Stellwerk in Kirchmöser sie mit den Worten verwies, sie solle die Leute nicht von der Arbeit abhalten.

Ich versuchte den Urlaub so zu gestalten, dass Erholung und Hobby ihren Anteil hatten. Während der ganzen Zeit konzentrierte ich mich auf den Streckenabschnitt Wusterwitz – Kirchmöser – Malge. Vom Kirchmöser Berg mit seiner unerwartet schönen Aussicht machte ich meine Filmaufnahmen natürlich mit einer rein zufällig ins Bild dampfenden 52er. Ein bisschen gewagt war die Filmszene schon. Mit einem kleinen Schwenker hätte eine militärische Radaranlage im Mittelpunkt der Dreharbeiten gestanden.

Eine besondere Faszination ging immer wieder vom Bahnhof Kirchmöser selbst aus. Beim Anblick seiner Architektur mit seinen hölzernen Anbauten und dem Perron konnte man die frühere Bedeutung als Ausflugsbahnhof erahnen. Der Bahnhof hatte schlichtweg seinen maroden Charme und das bei ankommenden Personenzügen kurz aufflammende heftige Treiben zog mich immer wieder an. Einige Personenzüge führten sogar bis Eilsleben. Weil die Grenze und der Grenzübergang Marienborn von dort nicht mehr weit waren, wurden diese Züge häufig von Soldaten der Grenztruppen frequentiert.

Die gelegentlichen Fahrten mit der Straßenbahn nach Brandenburg verband ich mit den fotogenehmigungsfreien und daher unkritischen sogenannten “Bahnsteigabschiedsaufnahmen“ (als Vorwand) im Hauptbahnhof. Die örtliche Trapo, (“Transportpolizei“) zeigte hier nur bei durchfahrenden Transitzügen Präsenz. Und so konnte man ganz entspannt alles ablichten, was sich im Bahnbetriebswerk (Bw) hin und her bewegte. Ausschlacken, Wassernehmen, alles war auf engstem Raum organisiert und gut vom Bahnsteig einsehbar. Nur das Betreten des Bw ist mir nie erlaubt worden. Zwischendurch rauschten zahlreiche Züge durch die Durchgangsgleise, darunter z.B. auch die 132 bespannten Militärreisezüge Brest-Magdeburg der sowjetischen Streitkräfte, mit den robusten, zeitlosen russischen Weitstreckenwaggons oder die orange/beige Wagengarnitur des Städteexpresszuges “Börde“. Diese mehr Komfort bietenden Züge fuhren ohne Halt durch Brandenburg, ohne Magdeburg nennenswert schneller zu erreichen. 132er verschiedener Bahnbetriebswerke trugen die Hauptlast des Verkehrs. So konnte man Maschinen der Bw Magdeburg, Halberstadt, Stralsund, Bln.-Ostbahnhof, Seddin und Wittenberge regelmäßig beobachten. Danach kamen aber gleich die BR 118 (vier- und sechsachsig) und 110-112, sowie natürlich die Dampfer die BR 52.8. Seltene aber regelmäßige Gäste waren die Güstener “Taigatrommeln“ (BR 120) und die Seddiner 130er vor Güterzügen. Neben der Hauptbahn wurden auf der Strecke Belzig-Brandenburg und zum Stahlwerk in Brandenburg noch viele Güterzüge gefahren. Nur mit einem Schnellschuß war Taigatrommel 120 155 vom Bahnsteig im Hbf aufzunehmen.

Kurios war die Mitropa-Gaststätte im Hauptbahnhof. Von vielleicht zwölf Tischen waren zehn mit Reserviert-Schildchen für die Gäste nicht zugänglich. Hintergrund war, daß die einzige Bedienung hoffnungslos überfordert war und sie eigentlich (wie sie uns auch sehr eindrucksvoll beim Essen erläuterte) keine Lust auf diese Arbeit hat…..

Karlheinz war daraufhin richtig sprachlos. Schade, das diese Szene nicht heimlich aufgenommen wurde. Auch die extra mit einem Spezialschlüssel durch Fachpersonal zu öffnenden hammerharten WC-Kabinen werden mir in Erinnerung bleiben.

Heute würde man von Reichsbahnfreunden gefragt werden, warum habe ich nicht noch die Übergabezüge vom Stahlwerk und tausend andere Fotomotive abgeklappert. Es gibt dafür eine einfache Erklärung. Ich stand damals noch nicht so unter Druck, möglichst alle Motive in kürzester Zeit in den Kasten zu kriegen. Andererseits hab ich die Fotoleidenschaft meist mit Bade- und Bootstouren verknüpft. Wer schließlich die Landschaft um Kirchmöser kennt… Das eine oder andere mal ärgerte ich mich dann doch, dass ich die Dampfzüge nicht vom Wasser aus gefilmt habe. Zwischen Kirchmöser und Malge (Blockstelle und hübsches Ausflugslokal) führt die Strecke sehr dicht entlang der Havelseen. Heute würde keiner mehr auf diese Idee kommen.

Da meine Dampflokbilder tagsüber im Hochsommer wegen dem ungünstigen Lichteinfall meistens nicht viel taugten und die Professionalität beim Fotografieren noch fehlte, sind dementsprechend wenige brauchbare Aufnahmen übrig geblieben. Das Bild konnte ich wegschmeißen aber das Erlebnis blieb mir in Erinnerung…wie z.B. abends im vollen Gegenlicht in Werder ein Dampfzug in Richtung Seddin durchdonnerte und der Lokführer mir heftig mit seinem Fotoapparat zuwinkte, nachdem er mich entdeckte. Auf der Rückfahrt von Werder saß ich dann auch in einem reinen Rekowagenzug bestehend aus Zwei- und Dreiachsern. Der Lokführer der 118er war nicht zimperlich und man musste sich gut festhalten, um nicht im Wagen hin und hergeschleudert zu werden. Seit dieser Fahrt verstehe ich den Humor über die “Genickschußwagen“.

Solche Züge waren auf der Magistrale schon 1983 eine Seltenheit. Heute kaum noch vorstellbar, war die dichte Belegung der Hauptbahn zwischen Brandenburg und Magdeburg mit Güter- und Reisezügen. Selbst Militärtransporte verkehrten fast täglich. Bei einem Militärgüterzug am Schrankenposten 77 (bei Kirchmöser) konnte ich gerade rechtzeitig die Kamera ins tiefe Gras legen. Die Wärterin warnte mich schon, aber da fuhr der Zug bereits im Schritttempo um die Ecke und einige Soldaten hockten an den offenen Türen der Güterwagen.

Aber auch die 52er hatten noch ihren Transportanteil. Neben den Nahgüterzügen bespannten sie noch einige Durchgangsgüterzüge (vor allem gemischte Züge, Kesselwagen-, Getreide und natürlich Stahlzüge).

Eine stattliche Anzahl von Übergabezügen aus dem Kirchmöser Waggon- und Weichenwerk brachte zusätzlichen Betrieb. Einige Leistungen waren im Brandenburger 52er Plan. Auf dem Abschnitt Brandenburg-Magdeburg gab es für Personenzüge ebenfalls zeitaufwendige Überholungen. Ein Ausflug nach Magdeburg wurde in einem für damalige Verhältnisse normalen unklimatisierten Doppelstockwaggon in Güsen zur Qual, weil wir fast eine Dreiviertelstunde in einem Nebengleis standen und verschiedene Züge vorbeilassen mussten. Ich hätte aber trotzdem meine Zweifel, ob mit dem heutigen Aus- (bzw. Rückbau-)zustand der Strecke für 160 km/h eine ähnliche Leistungsfähigkeit angeboten wird. Der Anteil an langsamfahrenden Güterzügen war zu DDR-Zeiten einfach zu hoch und durch die festgelegte Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h konnte noch eine gute Vertaktung von Güter- und Reisezügen erreicht werden. Daher “Hut ab“ vor den Reichsbahnern, die jeden Tag mit der alten Sicherungstechnik wahrlich Höchstleistungen vollbrachten.

Der Dampfabschied in Brandenburg im Oktober 1987 kam für mich dann doch ziemlich überraschend, auch weil ich das Geschehen nicht mehr so interessiert verfolgte. Nach der Wende wurde von einigen Brandenburger Lokführern leider vergeblich versucht die 52 8184 in Brandenburg zu halten, die noch als letzte betriebsfähige 52er im Bw als Heizlok diente. Abwechlung brachte 1991 eine Plandampfveranstaltung und bis immerhin 1995 lockten mich hin und wieder die gefälligen und für Brandenburg ebenso typischen 118er (jetzt BR 228) der inzwischen zum Bh Magdeburg-Rothensee gehörigen Einsatzstelle Brandenburg in diese Gegend.

228 372 (heute Magdeburger Eisenbahnfreunde) am 26.06.1995 an ihrem letzten Arbeitstag vor dem 81261 Kirchmöser – Michendorf im Dienste der Einsatzstelle Brandenburg. Der sehenswerte Zug kommt bei der Ausfahrt auf der inzwischen elektrifizierten Magistrale im geschmacklos modernisierten Bahnhof Kirchmöser wegen festsitzender Bremsen zum Stehen.

In den letzten Jahren erinnerten hin und wieder die Vereine Hoher Fläming e.V. und Magdeburger EF mit originellen Sonderfahrten auf der Brandenburgischen Städtebahn an die Einsätze des Bw Brandenburg. Erfreulicherweise wurde auch auf die bereits erwähnte noch heute betriebsbereite 52 8184 zurückgegriffen. Die in diesem Bericht beschriebenen Betriebsabläufe, Fahrzeuge und der größte Teil der Infrastruktur, die den Charme ausmachten, sind leider nicht mehr vorhanden. Heute kann man lediglich auf dem letzten Abschnitt der Brandenburgischen Städtebahn (Rathenow-) Brandenburg Altstadt – Hbf stellenweise noch Reichsbahnflair finden. Zu empfehlen sind die regelmäßigen Güterzüge von und zum Elektrostahlwerk in Brandenburg mit der BR 232/233, die sich zwischen Altstadt und dem Hbf ganz nett ablichten lassen. Neben den aufgelassenen Anlagen in BRB-Altstadt lässt sich ein noch in Betrieb befindlicher Bahnübergang mit Posten und Schranke (mit Kurbel) gut in Szene setzen. Da diese Strecke in den nächsten Jahren modernisiert wird, ist ein Besuch anzuraten.

Die Straßenbahn von Kirchmöser über Plaue nach Brandenburg ist leider Ende 2002 stillgelegt worden.

© 2000  Frank Hermann

Auf nach Brandenburg………..eine Fototour im Jahr 1987

Wir (Bernd Sachse und Thomas Nitsch) hatten vor, im August 1987 mal wieder eine Tour zu machen, die wahl viel auf  Brandenburg. Da auch hier sich der Dampflokeinsatz dem Ende zuneigte, war dies ein interessantes Ziel. Wie fast immer sollte es 5.56 Uhr ab Eilenburg-Ost mit dem P6970 nach Leipzig gehen.
Am 6.August, einem Donnerstag, war es dann soweit und die Fahrt konnte losgehen. Es schien ein herrlicher  Sommertag zu werden. Am Horizont, lugte die Sonne schon rotglühend herauf. Als wir nun zum Bhf. Eilenburg-Ost gingen, trauten wir unseren Augen nicht, denn über dem backsteinernden Empfangsgebäude hing eine dunkle Rauchfahne.
Trotzdem konnten wir noch an keinen Dampflokeinsatz glauben, da die EST Eilenburg ihre 528120 schon Ende Mai verabschiedete und die Engelsdorfer  gegen 7.30 den N66622 an den Haken nehmen werden. Doch als wir den Bahnhof erreichten, war die Überraschung groß. Statt einer 132 stand heute die Engelsdorfer 528077 vor dem P6970 bereit. Zack war die Kamera ausgepackt und es wurde erst einmal gründlich geknipst, so dass wir beinahe vergaßen, unsere Fahrkarten zu holen. Der Meister auf der Maschine war ein älterer „Engelsdorfer“ den wir nur als „Spitzmaus“ kannten. Obwohl der Zug nicht übervoll war, blieben wir gleich Vorraum hinter der Lok und genossen die herrlichen Klänge der „8077“ bei der Anfahrt.
Mit kräftigen  Auspuffschlägen ging es dann auch aus Eilenburg-Ost heraus, dabei verlierte sich das stampfen schnell in ein lustloses „schnüffeln“, da ja nur  5 min Fahrzeit bis zum Bhf. Eilenburg zu bewältigen waren.
Hier wurde der Zug merklich voller, der P6970 war ein wichtiger Pendlerzug nach Leipzig und bestand aus 10 Bghwe. Während der Fahrt ärgerten wir uns, dass wir nicht an der Strecke stehen und diese morgendliche Dampfleistung auf den Film bannen können. Wir überlegten, ob evtl. Ein Unterwegshalt kurz zum fotografieren genutzt werden könnte, doch die halte waren zu kurz, außerdem hatte unser Zug schon 10 Minuten Verspätung. Doch der Drang nach einem Foto war so groß, daß wir uns einig waren, wenigstens am Hp. Leipzig-Heiterblick (sonst Zugkreuzung) ein Foto zu schießen. Der Zug rollte in Heiterblick ein, die Taschen ließen wir im Vorraum und die Tür sollte offen bleiben. Wir sprangen aus dem Wagen heraus und sprinteten vor zur Lok. Dort wurde kräftig der Auslöser gedrückt und dann sprinteten wir zu unseren Wagen.
Doch zu gleichen Zeit hatte der Zugbegleiter schon gepfiffen und der Zug rollte mit unseren Taschen los. Irgend so ein „Blödmann“ hatte die Tür geschlossen uns so versuchten wir ,auf den langsam anfahrenden Zug noch aufzuspringen. Ja ich weiß, dass ist sehr gefährlich. Freund Sachse hatte auch als erster den Griff der Tür ergattert, ließ mir aber keinen Platz auf dem Trittbrett, aber zum Glück war der Bahnsteig lang und wir haben es doch noch geschafft in den Zug zu kommen.
Mit ca.15 min Verspätung rollte 528077 in den Leipziger Hbf ein und am Bahnsteig   8a, war die Dampfreise zu Ende. Wir haben schnell noch ein paar Fotos geschossen und ab gings in den Magdeburger D-Zug.
Als wir mit dem D-Zug wiedermal mit 30 Minuten Verspätung in Magdeburg eintrafen, war leider der Anschlusszug nach Brandenburg weg. Erst in einer guten Stunde soll ein Personenzug nach  Genthin  losgehen, nach  Brandenburg rollt erst einmal bis Mittag überhaupt nichts. Um die Wartezeit zu überbrücken, ging nun n die Magdeburger Mitropa, hier konnten wir uns stärken und Kaffee trinken.
Da Bernd sein drittes Kännchen Kaffee nicht rechtzeitig leer bekam, hätten wir unseren nächsten Zug auch bald noch verpasst. Und dann ging es aber nach Genthin, Während  wir mit dem Personenzug in Richtung Genthin rollen, kommt uns bei Burg die 528172 entgegengedampft und man hätte sich gewünscht jetzt das Ding vor die Kamera zu bekommen, aber nein, wir saßen ja im Zug und fuhren in die andere Richtung. Doch unserer Freude war groß, als wir in Genthin eine 52er sahen. Die 528156 wartete schon auf ihre Ausfahrt. Nachdem wir den rostigen „Eimer“ abgelichtet hatten, hieß es dann noch zwei Stunden warten. Darauf hatten wir keine Lust. Irgendwie kamen wir auf die Idee, in Richtung Kade Haltepunkt zu laufen – ist wohl nicht mehr so weit. Wir tippelten los, durch die Stadt und über den Kanal, bis wir zum Ortsausgangsschild kamen, doch nirgends ein Hinweis, wo der Hp liegt. Da wir aber aus dem Buch „Reisen mit der Dampfbahn“ den malerischen Haltepunkt KADE kannten und diesen unbedingt sehen wollten, entschieden wir durch den Wald diesen entgegenzugehen.
Doch der Weg nahm kein Ende. Der Waldweg war ziemlich aufgeweicht und matschig. Nachdem wir wohl schon 3 Kilometer gelaufen waren, trafen wir ein paar Holzfäller um nach dem Weg zu fragen. Die erklärten diesen auch, nur richtig durchgeblickt hatte keiner von uns. Wir gingen und gingen und kamen nirgends zum Haltepunkt.Kade. (Heute wissen wir, daß wir kurz vor Kade umgedreht sind)
Es ging nun schnell zurück nach Genthin. Langsam  schmerzten  auch  die Füße denn einige Kilometer  hatten  wir  schon zurückgelegt. Wir liefen das letzte Stück zum Bahnhof am Streckengleis entlang und uns entschädigte die super gepflegte 528184, die mit einem Ganzzug die Strecke in Richtung Brandenburg entlang donnerte.
Jetzt kam auch unser Personenzug nach Brandenburg. Die 118 hatte einen herrlichen  Dbg am Haken. Wie üblich fehlten überall die Kurbeln an den Fenstern. Doch wir suchten und fand auch ein Fenster, was geöffnet werden konnte.
Die Fahrt nach Brandenburg war fand Bernd recht lustig. Erst fand er solche Bahnhofsnamen wie Kirchmöser amüsant und dann begann er aus der WOCHENPOST die Heiratsanzeigen und Bekanntschaften laut vorzulesen (die WP war eine der wenigen Zeitschriften, wo man so viele Anzeigen aufgeben konnte). Natürlich sollte ich mich dann immer für die ältesten Damen interessieren. Das gefiel wiederum einigen älteren Mitreisenden überhaupt nicht und manche schüttelten sogar den Kopf.
Nun endlich sind wir in Brandenburg angekommen. Natürlich schauten wir gleich in das Bw. Hier standen einige 118er herum, die war kaum beachteten. Dafür waren 528184 und 528171 viel interessanter. 528137 stand am Kohlebansen, allerdings schon z-gestellt. Sonst war hier nicht viel los. Die anderen 3 Planloks (528135, 528156 und 528172) waren ausgeflogen. Wir entschlossen uns deshalb, mal in die ESt Altstadt zu schauen. Hier waren die kaputten und abgestellten Fahrzeuge des Bw zu finden. Aber auch hier sah der Fahrplan, keinen günstigen Anschluss vor.
Wir überlegten kurz und kamen auf die Idee mit der Straßenbahn nach Altstadt zu fahren. Wir erkundigten uns, wo man Fahrscheine erwerben kann und eine freundliche Dame schenkte uns zwei Fahrkarten. Da gerade eine Tram einfuhr, enterten wir diese und rumpelten mit dem „Gotha-Zug“ los. Nun denn, wir  rumpelten und rumpelten im wahrsten Sinne des Wortes und wussten nicht so recht, wo wir nun eigentlich aussteigen sollten. Leider war an keiner der Haltestellen eine Bezeichnung, wo man sich gerade befand. Wir versuchten zwar den richtigen Halt abzupassen, doch auf einmal waren wir schon auf der Brücke über den Altstädter Bahnhof.  Und die nächste Station war ewig weit weg und so fuhren wir eine „Ehrenrunde“ und kamen am Hauptbahnhof wieder an. Wir blieben gleich sitzen und machten nun unsere zweite Runde und diesmal wurde besser aufgepaßt.
Allerdings waren wir eine Station zu früh ausgestiegen,  aber wir waren in Brandenburg-Altstadt. Das Bw Altstadt war mehr oder weniger die Werkstatt  des Bw Brandenburg. Die relativ kleinen Anlagen ließen vermuten, daß diese noch zur Städtebahnzeiten errichtet wurden. Hier wurden alle Fristarbeiten erledigt und alles abgestellt, was im z-park war, oder nur noch dem Schneidbrenner als Futter dienen konnte. Niemand war zu sehen und so betraten wir wie „Strauchdiebe“ das Bw Gelände. Als  erstes  fiel  528074  auf, die ohne Tender und ohne Puffer einen traurigen Eindruck hinterließ. Ein Teil der Pufferbohle abgeschnitten. Aber es war noch mehr zu sehen. Neben einem alten dreiachsigen Schneepflug und interessanten Vorkriegswagen, standen an der Drehscheibe, 528161 und 528158 abgestellt. Als Heizlok, aber kalt abgestellt war 528180. 52 8181 stand direkt am Schuppen neben einer 118. Die 118er kamen aber eher nur aus Zufall auf den Film, sonst hatten wir uns nicht für diese Maschinen interessiert. Da unsere Fotoaktion sehr schnell ablief und wir gern noch Fotos in Ruhe geschossen hätten, wollten wir uns nun beim Lokleiter offiziell anmelden. Da man aber aus Erfahrung wusste, Fragen ist zwar gut – aber im Bilder im Kasten zu haben ist besser, fragten wir eben jetzt erst.
Als wir endlich diesen Mann fanden und unseren Wunsch zutragen. schrie er los – dass man denken konnte – das die Bude, die sich Lokleitung nannte in jedem Moment zusammenfallen musste. Wir bösen Menschen haben das Schild „Betreten Verboten“ nicht beachtet und hier hätten nur diensthabende Eisenbahner Zutritt. Wir amüsierten uns über diesen Vorfall und gingen mit vollen Filmen von dannen, denn wir hatten ja unsere Ausbeute.
Wir bekamen noch einen Dampfzug zu sehen und dann traten wir den Rückweg an. Nun sollte es noch nach Eilsleben gehen. Dort wurde zwar nicht mehr planmäßig mit Dampf gefahren, aber es waren Heizloks im Einsatz und noch mehrere Maschinen abgestellt, u.a. auch eine 41, die schon längere Zeit in Oebisfelde als Heizlok eingesetzt war.
Ab Magdeburg ging es mit einer Dbv-Einheit und einer 110 in Richtung Oebisfelde. Unterwegs stieg einer zu, der wohl zu tief ins Glas geschaut hatte. Er fing an zu singen und redete immerzu mit den Fahrgästen, wobei man nichts verstehen konnte. Dann stand der Typ im großen Vorraum der Einheit und es fing an zu plätschern. Bernd hatte sich bald kaputt gelacht, dass dieser Typ mitten in den Wagen pinkelte.
Wir stiegen schließlich in Eilsleben aus und mussten erst einmal sehen, wie man am günstigsten ins Bw kommt.
Im Süden der Bahnhofsanlagen zog sich der Weg zum Bw entlang. Dieser streckte sich ganz schön und wir vermuten, daß man schon ca. 20 Minuten Fußweg zurücklegt. Im Bw angekommen, fanden wir von der 411062 nur noch einen Trümmerhaufen vor, diese war nur Tage zuvor zerschnitten worden. Interessant war, dass noch das Schild an den Führerhausresten hing. Bernd versuchte mit seinem Werkzeug, das Schild abzuschrauben. Die Schrauben bekam er ab, aber das Schild blieb. Es war an mehreren Stellen mit dem Führerhaus verschweißt und das wäre uns wohl ein wenig zu schwer geworden.
528076 sonnte sich im Abendlicht, doch ihr sah man an, dass sie schon lange nicht mehr im Einsatz war. Noch schlimmer sah 528159 aus, bei ihr war das gesamte Führerhaus ausgebrannt und seitdem steht die Brandenburger Maschine hier auf dem Schrottgleis. Auf den Abstellgleisen standen weitere 50er und 52er abgestellt. Am Schuppen stand dagegen 651049 unter Dampf. Sie war die Ersatzheizlok für die 503626. Die 65er bewegte sich nur zum Ausschlacken und Kohle aufnehmen.
Die 503626 wurde gerade zum auswaschen kalt gemacht. Sie war die einzige Reko 50 mit Altbau-52er Sandkästen.
Hier trafen wir auch auf den Lokleiter. Er lud uns zu einer Tasse Kaffee ein (ganz anders als in Brandenburg). Wir erzählten von alten Planzeiten und vom Dampf und vieles mehr.
Irgendwann drängelte Thomas, dass wir zurück zum Bahnhof müssen. Unser letzter Schnellzug von Magdeburg nach Leipzig fuhr gegen 22.30 Uhr.
Also Kaffee austrinken und verabschieden. Wir gingen nun etwas schneller, denn die Zeit schien etwas knapp zu werden. Auf dem halben Weg zum Personenbahnhof fiel Bernd auf, dass er seine Kamera in der Lokleitung vergessen hatte. Er sprintete nun noch einmal den Weg zurück, ich lief dagegen weiter in Richtung Personenbahnhof.
Jetzt sah ich den Zug schon in Eilsleben einrollen. Bernd lief quer über die Gütergleise und auch ich kürzte ab. Im Zug angekommen, fehlte uns beiden erst einmal der Atem. Doch wir hatten nicht daran gedacht, dass auf diesen Grenznahen Strecken, die Trapo mitfährt.
Und ehe man sich versah, waren die dunkelblau gekleideten Herren auch schon bei uns. Wir konnten ja kaum erzählen, dass wir im Bw fotografiert und Kaffee getrunken hatten. Allerdings machten wir deutlich, dass wir in Leipzig unbedingt den D-Zug nach Leipzig bekommen müssen, sonst schaffen wir es nicht mehr nach Eilenburg. Wir wurden ordnungsgemäß belehrt, dass wir die Bahngleise nicht betreten dürfen und stimmten dem auch zu und wollten es nie wieder tun. Es war schon ein Wunder, dass wir keine Strafe zahlen mussten.
In Magdeburg erreichten wir auch unseren Schnellzug. Damit dachten wir, wird unser erlebnisreicher Tag zu ende gehen. Bis Köthen rollten wir auch im Plan. Doch kurz vor Halle lief nichts mehr. Nach ca. 60 Minuten im letzten Bahnhof vor Halle erfuhren wir, dass ein Güterzug entgleist war und größeren Schaden angerichtet hat. Inzwischen wurde es im Zug unruhig.
In unseren Wagen waren dagegen Lehrlinge auf Klassenfahrt, die uns zu einer Runde Bier einluden. Und es wurde noch richtig gemütlich.
Nach ca. 2 ½ Stunden Verspätung setzte sich der Zug in Bewegung. Mit einem ungewöhnlichen Abstecher über den Güterbahnhof Halle, ging es ohne Halt bis nach Leipzig weiter. Die Fahrgäste die nach Halle wollten, mussten in Leipzig einen Personenzug nach Halle nehmen.
Wir erreichten nur noch den Nacht Eilzug nach Cottbus, der nur in Eilenburg Stadt hielt. Aber wir waren froh, daß als wir wieder zuhause ankamen.
An diese ungewöhnliche Tour erinnern uns heute noch die Fotos und jetzt diese kleine Geschichte.
© 1998-2004 Bernd Sachse/ Thomas Nitsch

Bahnparadies Altvatergebirge

 

Nun, wahrscheinlich hat jedes Gebirge so seine Eigenarten und Sagengestalten. Es rührt wohl daher, daß sich die einfachen Menschen früher vor den dunklen, undurchdringlichen Wäldern und tiefen Tälern der Gebirge fürchteten. So kamen die Bergregionen zu ihren Sagen, Geistern und Räubern, ohne die die heutigen Tourismus-Marketinggesellschaften wohl einen ungleich schwereren Stand hätten. Aber so hat der Harz seine Hexen, das Erzgebirge den Stülpner-Karl, das Riesengebirge den Berggeist Rübezahl und das Altvatergebirge den Räuber Hotzenplotz. Gelegentlich begegnen einem diese Gesellen noch, so fliegen z.B. im Harz die Hexen zur Walpurgisnacht immer noch auf den Brocken. Wobei sie nach eigenen Beobachtungen mittlerweile in immer größerer Zahl die Brockenbahn nutzen, statt den eigenen Besen.

Nun ja, die gestiegenen Treibstoffpreise machen halt auch vor den Hexen nicht halt und eine Befreiung von der Kerosinsteuer, wie im Luftverkehr üblich, gilt meines Wissens nach nicht für Hexenbesen. Doch egal wo, Angst vor Hexen, Räubern, Drachen und anderen Ungetümen braucht heute keiner mehr zu haben, sie werden heute nur noch zur Erbauung der Touristen von der Kette gelassen. Aber Halt, gab es da nicht eine Ausnahme? Richtig, im fernen Altvatergebirge, in Mährisch Schlesien im Nordosten der tschechischen Republik gelegen, tut sich doch noch gar Merkwürdiges

Es ist aber nicht der Räuber Hotzenplotz, der wieder sein Unwesen treibt, nein, in den dunklen Wäldern, tiefen Tälern und hohen Bergen regt sich nach wie vor ein anderes Wesen aus alter Zeit, das ansonsten schon ausgestorben ist. Mit einem tiefen Gebrumm bahnt sich dieses Geschöpf mehrmals täglich unverdrossen seinen Weg zwischen Sumperk, Hanusovice und Jesenik, und erklimmt dabei den über 700 Meter hohen Ramzova-Paß, und verschlingt auf seinen Wegen zahllose Menschen! Aber einige spukt es auch wieder aus und spätestens in Sumperk oder Jesenik ist sein Bauch wieder leer.

Wer nun aber angstvoll nach einem tapferen Ritter sucht, der dieses Ungetüm zur Strecke bringt, der sei beruhigt. Man braucht es gar nicht zur Strecke bringen, es fährt nämlich darauf, genauer auf der auch als „Schlesischer Semmering“ bezeichneten Eisenbahnstrecke von Zabreh nad Morave bzw. Sumperk über Hanusovice, Ramzova, Lipova Lazne bis nach Jesenik. Es ist wohl nun jedem klar, daß ich hier nicht von einem alten, schuppigen, feuerspeienden Drachen spreche, sondern von einem alten urigen, wackeren Triebwagen der tschechischen Bahn.

Gehört doch das Altvatergebirge mit seinen herrlichen Bahnstrecken zu den letzten Rückzugsgebieten der fast schon ausgestorbenen Dieselveteranen der Baureihe 831, genannt „Nähmaschine“. Gebaut wurden diese Triebwagen von 1949 bis 1960 von Tatra, CKD sowie Wagonka Studenka in insgesamt 238 Exemplaren als Baureihe M 262. Interessanterweise sind nie passende Beiwagen gebaut worden.

Die Fahrzeuge besitzen einen dieselelektrischen Antrieb, der die Wagen bei einer Leistung von 301 kW (410 PS) bis auf 90 km/h beschleunigt. Da es aber häufiger Motorprobleme bei den Wagen gab, wurden in Sumperk von 1981 bis 1991 insgesamt 41 Triebwagen mit anderen Motoren ausgerüstet, wobei Leistung und Höchstgeschwindigkeit unverändert blieben. Zur Unterscheidung erhielten die remotorisierten Wagen die Baureihenbezeichnung M 262.1, mit der Einführung der EDV-Nummern bei der CSD wurden die M 262 zur Baureihe 830, die M 262.1 zur Baureihe 831.

Doch mit dem Verkehrsrückgang nach 1990 sowie der Auslieferung der neuen Triebwagen der Baureihen 842 und 843 von 1993 bis 1997 schien die Zeit der Dieseloldtimer der Reihen 830 und 831 abgelaufen. Reihenweise wanderten sie auf den Schrott oder starteten in ein neues Leben als Museumswagen. Doch einige Exemlare dieser Baureihe erwiesen sich dann doch als äußerst zäh und langlebig. So gab es bis Dezember 2007 immer noch drei Reservate für unsere alten Nähmaschinen. Dies war Decin, das seine letzten 830 immer noch auf der Elbtalstrecke bis nach Dolni Zleb schickte, das war Klatovy, wo man mit 831 noch durch den Böhmerwalt bollerte, und das war Sumperk mit seinen 831, die sich im Altvatergebirge austobten.

Doch zum Fahrplanwechsel im Dezember 2007 sollte nun endgültig schluß sein. Tatsächlich stellte Decin seine letzten 830 ab, damit war diese Baureihe Geschichte. Auch in Klatovy wurden keine neuen Umlaufpläne für den 831 aufgestellt, es kam jedoch sehr bald das Gerücht auf, daß die alten Nähmaschinen noch nicht zur Ruhe gekommen waren, man fuhr in Klatovy nun halt wild. Doch der Paukenschlag Anfang 2008 kam aus dem Altvatergebirge, wo in Sumperk erneut ein dreitägiger Umlaufplan für die Baureihe 831 aufgestellt und gefahren wurde. Und heute, wie ist die Situation im Oktober 2010? Klatovy setzt seine letzten 831 nach wie vor wild ein, in Sumperk ist aus dem dreitägigen Umlaufplan nur noch ein zweitägiger Plan geworden, der aber recht zuverlässig gefahren wird

Es dürften noch fünf 831 in Sumperk einsatzfähig sein. Leider gab es am 1. September 2009 einen schweren Auffahrunfall, als 831 110 und 831 234 zwishen Horni Lipova und Ramzova zusammenstießen. Während 831 110 repariert werden konnte und inzwischen wieder im Einsatz ist, hat für 831 234 das letzte Stündlein wohl geschlagen. Andererseits hat sich mittlerweile ein anderer Dieselveteran an die Seite der alten Nähmaschinen gestellt, und zwar die dieselhydraulischen 800-PS-Boliden der Reihe 851. Auch diese, 1967/68 gebauten Triebwagen werden langsam selten und haben im Altvatergebirge ein Reservat gefunden. Allerdings werden die 851 hautsächlich auf der Strecke Sumperk – Olomouc bis Unicov eingesetzt, einzelne Leistugen bringen sie aber auch bis Jesenik, bzw sogar als Spätpendel bis nach Zlate Hory.

Wer also tschechische Dieseloldtimer in iner äußerst reizvollen Umgebung erleben möchte, dem sei das Altvatergebirge wärmstens empfohlen. Doch es sei doch zu etwas Vorsicht geraten, die tiefen Wälder bergen manch weitere Überraschung. So kann durchaus aus den Tiefen des Waldes urplötzlich ein infernalisches Gedröhn schallen. Keine Angst vor wilden Tieren, es könnte sich dabei aber durchaus um einen Schnellzug von Jesenik nach Brno handeln. Diese Schnellzüge, gebildet aus Wagen der Gattung Y/B 70 vom VEB Wagonbau Bautzen, werden mittlerweile eigentlich von Diesellokomotiven der Reihe 754, wegen ihrer markanten Stirnfront besser bekannt als „Brillenschlange“ oder „Taucherbrille“, gezogen. Doch bis Anfang diesen Jahres war vor diesen Zügen noch die Vorgängerin der 754, die Baureihe 749, anzutreffen.

Großes äußeres Unterscheidungsmerkmal ist das Fehlen der charakteristischen Brille bei der 749, aufgrund ihrer etwas wulstigen Stirnfront verpßten die tschechischen Eisenbahner der Maschine in Anlehnung an den Körperbau von Brigitte Bardot den Spitznamen „Bardotka“. Wie sich die Eisenbahner doch gleichen. Hatten doch die Bundesbahner ihrer Vorserien – V 160 aus gleichem Grund den Namen „Lollo“ verpaßt, Namensgeberin hier war Gina Lollobridgida. Doch der kleine, aber feine Unterschied zwischen den Baureihen 749 und 754 macht sich spätestens nach dem Start des Motors akustisch eindrucksvoll bemerkbar.

Die Konstrukteure der Bardotka hielten nämlich einen Schalldämpfer für einen durchaus überflüssigen Ballast. Und so röhrten die 749 bis Anfang 2010 zur Freude des Eisenbahnfreundes (der sich dabei aber wohl kaum der ungeteilten Zustimmung der Anwohner erfreuen konnte) mit ihren Schnellzügen über den Ramzova-Paß. Nun, dies ist zwar eigentlich Geschichte, doch gelegentlich mogelt sich halt doch noch eine 749 an den Zug und sorgt für ein Donnergrollen in den sonst so stillen Gebirgstälern.

Ja, eigentlich gibt es noch viel über dieses Eisenbahn-Reservat zu erzählen, und eines muß ich auch noch los werden. Hätte ich doch fast die „Osoblaschka“ vergessen. Jaja, immer auf die kleinen. Fährt man nämlich von Jesenik aus nicht in Richtung Ramzova-Paß, sondern in nördliche Richtung, da kann man auch durchaus Überraschungen erleben. Nun, der Fahrzeugeinsatz hier ist schon fast eintönig, einmal am Tag ein 831 nach Mikulovice, einmal am späten Abend ein 851 nach Zlate Hory, ansonsten fahren hier nur die 810er „Brotbüchsen“, oder, im Eil-und Schnellzugverkehr von Jesenik Richtung Krnov, Opava oder Ostrava-Svinov, die 843.

Hinter Mikulovice drosselt dann der Triebwagen seine Fahrt und schleicht über ausgefahrene Gleise in den Bahnhof Glucholazy, wo einerseits der Gegenzug schon wartet, andererseits wird hier Kopf gemacht. Der Bahnhof Glucholazy hatte auch schon bessere Zeiten, strahlt aber immer noch ein pures Flair der Reichsbahn aus, verfügt er doch noch über ein typisch preußisches Emfangsgebäude aus Klinkern, ein hölzernes Bahnsteigdach und Reichsbahn-Formsignale. Aber Moment mal, wieso strahlt ein tschechischer Bahnhof ein typisches Reichsbahn-Flair aus? Was hat ein preußisches Bahnhofsgebäude im ehemals österreichischen Mähren verloren? Strahlen doch tschechische Bahnhöfe, wenn überhaupt, dann eher ein österreichisches Flair aus.

Nun, die Erklärung ist recht einfach: Wir sind in Polen! Hinter Mikulovice haben wir die tschechisch – polnische Grenze überquert. Nachdem wir den Bahnhof Glucholazy verlassen haben, tuckern wir noch ein paar Kilometer durch Polen, um dann, kurz vor dem Bahnhof Jindrichuv ve Slezku, wieder tschechische Schienen unter die Räder zu nehmen. Eine Attraktion des Bahnhofes Jindrichuv ve Slezku waren die Formsignale alter österreichischer Bauart. Im September diesen Jahres mußte ich entsetzt feststellen, daß sie inzwischen modernen Lichtsignalen weichen mußten.

Nächster Halt des Zuges ist Tremesna ve Slezku. Schon vor dem Bahnhof ist ein Blick nach rechts empfehlendswert. Schwenkt doch ein vom Norden kommendes Schmalspurgleis in einem weiten Bogen auf die Hauptstrecke ein und begleitet sie bis in den Bahnhof. Jenes Schmalspurgleis hat die landesübliche Spurweite von 760 mm und bildet den Fahrweg für die bereits erwähnte „Osoblaschka“.

Es handelt sich dabei um die letzte Schmalspurbahn der tschechischen Bahn, die leider immer etwas im Schatten der mittlerweile privatisierten Schmalspurbahnen von Jindrichuv Hradec steht. Ihr Ziel hat die Bahn im rund 20 km entfernten Osoblaha, dem ehemaligen Hotzenplotz. Anders als in Deutschland werden auf tschechischen Schmalspurbahnen Diesellokomotiven eingesetzt, zwischen Tremesna und Osoblaha fahren im Regelverkehr ausschließlich Lokomotiven der Baureihe 705.9. Die Leistung dieser, 1958 von CKD gebauten, dieselelektrischen Lokomotiven beträgt 350 PS, die Höchstgeschwindigkeit beträgt 50 km/h. Auf der Strecke werden aber höchstens 40 km/h gefahren.

Im Schnitt fünf mal am Tag pendelt nun eine solche Lokomotive, behängt mit einem Personenwagen, zwischen beiden Endpunkten und benötigt für eine Fahrt rund 45 Minuten. Sämtliche Unterwegsstationen sind unbesetzt und strahlen einen gewissen morbiden Charme aus, auch alle Hauptsignale an der Strecke sind verschwunden. Untrügliches Zeichen dafür, das diese kleine Bahn ihre beste Zeit hinter sich hat.

Der eine Personenwagen ist in der Regel halb leer, 10 Fahrgäste sind schon viel. Kein Wunder, liegen doch die meisten Unterwegshalte der Bahn außerhalb der dazugehörigen Ortschaften. Da ist der Bus für viele wohl die bessere Alternative, so man nicht von Vornherein mit den eigenen vier Rädern unterwegs ist. Doch auch der Güterverkehr auf dieser Bahn steht still, er wurde 1997 eingestellt.

Wer nun angesichts dieser Tatsachen eine heruntergelotterte Bahn erwartet, die augenscheinlich auf dem letzten Loch pfeift, der täuscht sich. Die Fahrzeuge sind, wie eigentlich überall in der tschechischen Republik, ordentlich und gepflegt, auch der Oberbau ist in sehr gutem Zustand. Man setzt auf den touristischen Wert der Schmalspurbahn, dazu kommt in den Sommermonaten auch ein Dampfzug zum Einsatz. Dieser Zug wird gezogen von einer ehemals rumänischen Waldbahnlokomotive der Reihe 764, als Wagen dienen ein paar eher kitschig wirkende Sommerwagen. Nun, dieser Dampfzug ist halt ein Touristikzug und keine Museumsbahn.

Ein weiteres Probem dieser Bahn ist jedoch ihr Endpunkt. Der Bahnhof Osoblaha liegt auch recht weit außerhalb des Ortes, wer sich aber nach Osoblaha hineinwagt, hat auch ein ganz spezielles Erlebnis. Gehört doch Osoblaha zu den wohl trostlosesten Orten, die ich jemals gesehen habe.

Viele Häuser stehen leer, es überwigt graue Tristesse aus sozialistischen Tagen. Aber das Bier ist billig, ein halber Liter Holba kostete im September 2010 umgerechnet 72 Cent. Andererseits hat Osoblaha auch eine eher tragische Geschichte. Einst war Hotzenplotz, wie Osoblaha früher hieß, ein gut gehender Marktflecken, der bereits im 13. Jh das Stadtrecht verliehen bekam. Es waren auch die Stadtväter von Hotzenplotz, die sich maßgeblich für den Bau der Schmalspurbahn einsetzten. Mit den Münchener Verträgen von 1938 kam die Gegend um Hotzenplotz jedoch zum faschistischen deutschen Reich, die Schmalspurbahn wurde fortan von der Deutschen Reichsbahn betrieben. Die Nazis in ihrem Rassenwahn vertrieben oder ermordeten erst einmal die Juden auch die tschechische Bevölkerung wurde drangsaliert.

Dann wurde Hotzenplotz noch im April 1945 durch Kampfhandlungen fast völlig verwüstet. Anschließend wurde durch die Benes-Dekrete auch noch die deutsche Bevölkerung vertrieben. Von diesem Aderlaß, der auch zur Aberkennung des Stadtrechtes im Jahr 1960 führte, hat sich Osoblaha anscheinend bis heute nicht erholt.

Wie lange also die Schmalspurbahn überhaupt noch fährt, dazu möchte ich lieber keine Prognose abgeben. Rentabel ist sie auf alle Fälle schon lange nicht mehr, wie hoch aber der touristische Wert in dieser eher abgelegenen Gegend ist, ist schwer zu sagen. Auf alle Fälle fährt sie noch und die technische Substanz der Bahn scheint noch recht gut zu sein.

Also auf ins Altvatergebirge, es warten wunderschöne Landschaften, historische Triebwagen, altbekannte Schnellzugwagen, verträumte, gepflegte Bahnhöfe, freundliche Menschen und eine interessante Schmalspurbahn.

Euer Volker Reiche 

Der Bahnwaerter (C) 1997 – 2010

Würstchenräucherei 52.8 – Aprilscherz mit Dampf

Irgendwann im Februar 1988 kam mein Kumpel Reinhardt Labowski auf die Idee, in den Vereinsschaukasten der damaligen DMV AG 6/ 72 – im Bahnhof Eilenburg einen Aprilscherz anzubringen. Da wir 1988 kurz vor dem Dampfende standen, wollten wir noch einmal die Gelegenheit nutzen, was mit den Dampfern zu machen. Die 52.8 des Bw Engelsdorf besuchten Eilenburg noch täglich am Spätnachmittag mit dem Dg 55619 und fuhren Abends mit dem Ng66624 wieder nach Hause.

Wie wir aber auf Würsten kamen, daß weiß ich heute leider nicht mehr, wir stellten uns schließlich die Frage: ….warum sollen in Dampflokomotiven nicht auch leckere Knacker geräuchert werden, schließlich hat die DDR jede Reserve ausgeschöpft und hier sollten die Dampflokomotiven in den Einsatzpausen als Räucherkammern dienen. Die fragenden Blicke von den Reisenden zeigten später, daß so etwas in der DDR wirklich für möglich gehalten wurde, auch wenn es noch so ungewöhnlich war.

Mitte März startete unsere Aktion, nur noch 528186 und 528119 standen für den Einsatz zur Verfügung und benötigt wurde nur noch eine Maschine täglich. Für unsere Wurstaktion hatten wir total bescheidenes Wetter herausgesucht, den ganzen Tag gab es schon den feinen hässlichen Nieselregen.

Das Personal wurde schon ein paar Tage vorher informiert und wusste Bescheid. Fast die ganze DMV AG 6/ 72 war in der Einsatzstelle Eilenburg vertreten und wartete auf den Dg55619, der Planmäßig um 16.21 in Eilenburg eintreffen musste. Doch der Zug war schon immer unpünktlich und so wartete man eine ganze Weile. Als der Zug schon eine halbe Stunde überfällig war, wurden wir unruhig da wegen des miesen Wetters das Licht nach lies und so die Fotoaktion im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser zu fallen drohte.

Eine Wiederholung der Sache war auch schlecht möglich, da nicht jedes Personal so etwas mitmachen würde, die Würstchen wohl auch bald nicht mehr appetitlich aussehen werden und der 1. April als Termin uns auch im Nacken saß.

Wir fragten in der Lokleitung nach und erfuhren, daß der „55619“ mindestens bis 18.00 Uhr im Bahnhof Jesewitz (heute KBS 215) stehen wird. Jetzt ging es schnell, Würstchen ins Auto gepackt und ab nach Jesewitz. Hier stand nun unsere 528186 auf dem Rand. Der Meister Andre‘ Aurich war schon informiert und freute sich auf die Würstchen. Sein Heizer begann inzwischen die Rauchkammertür zu öffnen und wir wickelten die Würstekette um eine Holzleiste.

Doch auf einmal wären uns fast die Würste aus der Hand gefallen, denn das Ausfahrsignal leuchtete grün – grüner ging es nicht mehr.

Jetzt hieß es handeln, schnell die Rauchkammertür zu gemacht, die Würstchen wieder ins Auto gepackt und ab ging unsere Fuhre.

Die 528186 stampfte los ohne zu trampeln, obwohl sie gut 1200t am Haken hatte und es den ganzen Tag nieselte. Natürlich waren wir mit dem Auto schneller in der Einsatzstelle, als 528186, auch wenn wir nur mit einem „Trabbi“ dahinflogen.

Die 528186 kuppelte ab und kam langsam ins BW gerollt. Erst einmal wurde ausgeschlackt und dabei Wasser genommen.

Jetzt wurde abermals die Rauchkammertür geöffnet und die Würste fotogen dort hineinplaziert. Als nun alles so war wie wir es uns wünschten, ging die Knipserei los. Mal mit und mal ohne Lokpersonal, Andre‘ war immer für einen solchen Spaß zu haben. Nachdem wir nun genügend Fotos im Kasten hatten, wollten wir auch die Würstchen essen. Unser Vereinskollege Klaus Abicht hatte sich extra eine Fleischerschürze ausgeborgt und baute unsere Würstchenkette ab. Doch so ganz appetitlich waren die Knacker nicht mehr, denn sie waren kräftig Ruß geschwärzt – was macht man da? Man dreht ein wenig den Wasserkran auf und spült mit Muldewasser die Würste sauber. Wohl scheint hier das Geheimnis zu liegen, dass wir seit dem Genuss von evtl. „krebserregenden“ Ruß und „giftigen“ Muldewasser, bester Gesundheit erfreuen können.

Die Würste ließen wir uns natürlich schmecken, alles wurde noch einmal im Bild festgehalten und weil es so viele Würstchen waren, mussten Lokleiter, Rangierer und andere Bahnmitarbeiter von den Würstchen probieren. Dann war es aber schon wieder soweit, 528186 fuhr zum Bahnsteig 4 vor, dort stand schon Ng66624 zur Rückfahrt nach Engelsdorf bereit. Pünktlich verließ ,,8186″ 19.07 Uhr unseren Bahnhof und verabschiedete sich mit einem langen Pfiff. Es war kaum vorstellbar, dass schon in zwei Monaten alles vorbei sein sollte. Wir gingen nun in die MITROPA und ließen den Abend gemütlich bei Bier und was „richtigen“ zu Essen ausklingen. Wir stellten fest, die 528186 könnte die einzige Dampflok gewesen sein, die wirklich einen „Würstchenkessel“ besaß. Der Schaukasten wurde pünktlich zum 1.April präsentiert und wie ich schon erwähnte waren die Leute echt erstaunt, was so eine Lok alles kann und kaum einer dachte wirklich an einen Aprilscherz.

Nur knapp 8 Wochen darauf fuhr 528186 den letzten Planzug für das Bw Engelsdorf und beendete die Dampflokära des Bahnhofs Eilenburg – wie auch des Bw Engelsdorf mit dem Nahgüterzug 66624.

Thomas Nitch (C) 1992

Foto: R. Labowski