Am 20. Mai 1994 waren wir Jan Zietkowski und ich noch einmal im Zeitzer Revier auf „Wummen Jagd“.
In einer Woche soll alles vorbei sein. Das kann man sich gar nicht vorstellen, denn noch immer werden 8 Planloks der Baureihe 220 in der Est Zeitz benötigt und weitere stehen für Bereitschaftsdienste im Heimat Bw Leipzig-Wahren zur Verfügung.
Alles fuhr wie immer, man mochte gar keinen Gedanken verschwenden, dass die 220er in den nächsten Tagen aufs Abstellgleis geschoben werden sollen.
Den ganzen Tag hielten wir uns an der Strecke Zeitz – Profen auf, um hier die zahlreichen Kohlependel und Nahgüterzüge mit 220 abzulichten. Mit etwas Glück verirrte sich aber auch mal eine Weißenfelser 231 auf diese Strecke. Das Wetter war leider nicht sehr schön. Der Himmel schickte „Tränen“ zum Abschied und wir weichten tüchtig durch, was man nicht alles für sein Hobby macht.
Im Tagesverlauf sollte sich das Wetter aber dann beruhigen. Deshalb ließen wir uns auch nicht von diesem Regen abhalten auf Tour zu gehen – wir Freaks sind eben doch „Verrückt“.
Nachdem wir genügend von der Strecke im ,,Kasten“ hatten, fuhren wir nach Zeitz in die dortige Einsatzstelle.
Das ehemalige Bw Zeitz präsentiert sich in einem trostlosen Zustand. Das Schuppendach des mehrmals vergrößerten Lokschuppens war inzwischen löchrig wie ein Käse. Abstellgleise mussten schon gesperrt werden und auch am Kohlebansen bröckelt es wie verrückt.
Weil wir ja ganz ordentlich sind, fragten wir erst einmal in der Lokleitung an, ob wir hier fotografieren dürfen. Da Jan sich aber nicht ganz so genau ausdrückte, was er eigentlich fotografieren wollte, stellte sich einer der Personale schon in Pose. Wie immer standen die „Trommeln“ bis zum nächsten Einsatz im Haus. Wir schauten uns erst einmal um, welche Maschinen überhaupt da sind und ob es sonst noch was interessantes zu finden gibt.
So entdeckten wir in einer „Schuppenecke“ die ex Brandenburger 528182 , die jetzt als Dampfspender arbeitslos ist und nur noch von den Tauben als Start- und Landeplatz benutzt wird.
Für eine erfreuliche Abwechslung sorgte auf einmal die Geraer 220 290, die mit ihren Schildern ganz nett aussieht. Sie fuhr zur Tankstelle und der Geraer Meister machte schließlich Feierabend, die Ablösung sollte erst zum späten Nachmittag eintreffen.
Endlich schien sich auch etwas bei den Zeitzer 220er zu tun.
Ein Lokführer lief um die 220 137 – einer schmuddeligen altroten Maschine und ließ überall verbrauchtes Öl ab. Es füllten sich so ganze zwei große Eimer mit klebrig schwarzen Zeug. Dann stieg er auf die „137“ und startete den „Bock“.
Mit dem berühmten surren und dem danach folgenden kräftigen hämmern der Kolben, waren wir in unserem Element. Der Motor heulte auf und eine dicke blau-schwarze Wolke stieg auf und legte sich so langsam wieder. Wer so etwas nicht erlebt hat, weiß gar nicht wie auch „moderne“ Eisenbahn noch begeistern kann.
In der Luft hing der Geruch von Abgasen und verbrannten Öl. Mit tiefen brummeln machte sich 220 137 warm für den nächsten Einsatz. Inzwischen hatte uns der Meister der 220 137 entdeckt und lief gleich auf uns zu. Er erzählte das er seinen Fotoapparat vergessen hatte und fragte uns, ob wir ihn nicht einmal mit seiner Maschine fotografieren könnten. Denn er hatte seinen letzten Dienst auf einer „Wumme“ und wird künftig auf den 232 seinen Arbeitsplatz finden.
Dies war natürlich kein Problem und schon wurde unser Meister mit seiner „Wumme“ abgelichtet. Da traf es sich auch, dass Jan ihn fragte, ob wir nicht eine Tour mitfahren könnten. Nach kurzen überlegen – wohin und wie zurück – war alles klar. Wir schnappten unsere Rucksäcke und stiegen auf dem hinteren Führerstand 1, der sich im Schuppen befand. Unser Meister meinte nur, beim Drehen ist dann der Stand 1 vorn.
Jetzt ging es los. der Motor brummte auf und langsam rumpelten wir auf die Drehscheibe, die Gleise ächzten unter der Last der Lokomotive und mit lauten Krachen rummste jede Achse über die Schnittstelle zwischen Drehscheibe und Schuppengleis.
Die Maschine wurde gedreht und nach einen kurzen Achtungspiff fuhren wir an unseren Zug im Güterbahnhof. Hier stand unser Kohlezug, der zuvor mit einer 232 aus Profen eingetroffen war. Die 232 blieb nun gleich hinten am Zug und sollte nun nachschieben. Denn zwischen Tröglitz und Meuselwitz geht es fast nur bergauf, die V200 könnte so nie den 2000t Zug allein bewältigen.
Unser Meister schimpfte inzwischen auf die Zugabfertigerin, die es vorher soooo eilig hatte und jetzt nicht fertig wurde. Wir warteten noch ca. 10 Minuten und dann zeigte das Ausfahrsignal „grün“. Nun folgte ein Achtungspfiff für unseren starken „Hintermann“ und ab ging es. Als erstes mußte die 220 anziehen damit der Zug „lang“ wurde und die 232 langsam nachschieben konnte. Würde die 232 schneller schieben als die 220 zieht, könnte es zu Schäden an der V200 kommen.
Im Moment der Anfahrt konnte man es vergessen sich hier in der V200 zu unterhalten. Alles dröhnte und schepperte auf dem Führerstand. Da war das Motorengeräusch von hinten fast noch ein flüstern, bei diem dröhnen und rasseln im Führerstand verstand man nicht einmal sein eigenes Wort. Unser Meister meinte nur, wenn wir erst einmal rollen ist es wieder ruhiger und das stimmte dann auch.
Man merkte das die 232 hinten etwas klemmte und zu langsam fuhr. Unser „137“ hatte dadurch ganz schön zu schaffen. Aber mit zunehmender Geschwindigkeit, kam auch die Schiebelok richtig in Schwung. In einem weiten Bogen ging es nun über die KBS 550 Leipzig – Gera und wir kamen nun zum Elstertalviadukt . Ich wäre über diese nicht mehr allzu frische Brücke nicht einmal darüberhinweggelaufen, ganz zu schweigen mit diesem Zug hier herüber zu „brettern“.
Doch der schein trügt, denn mehrmals täglich fahren über dieses Bauwerk die „Kohlebomber“ nach Meuselwitz und es gibt nicht einmal eine Geschwindigkeitsbeschränkung. Wir erfuhren auch so nebenbei die neuesten Scherze der DBAG. So mussten alle Fahrzeuge auf Nebenbahnen mit unbeschrankten Bahnübergängen mit voller Beleuchtung fahren und außerdem war vor unbeschrankten Übegängen die Geschwindigkeit zu drosseln. Hier auf der Meuselwitzer Schiene ist dies nicht ganz einfach. Denn wenn die V200 vor dem BÜ abbremst und pfeift, musste auch der Schiebe-Meister schnell reagieren – um nicht den ganzen Zug zu schnell über den Übergang zu schieben.
In Tröglitz hatten wir Durchfahrt, ab hier beginnt die zweite Steigung auf dieser Strecke, die sich fast bis zum ehemaligen Bahnhof Wuitz-Mumsdorf hinzieht. Kurz vor Rehmsdorf mussten sich beide Loks mächtig ins Zeug legen um die Rampe heraufzukomrnen. Unser Meister erzählte, das bei feuchten Wetter so mancher Zug hier liegengeblieben war, auch mit Doppelbespannung. In Rehmsdorf ging es auf den Rand. Hier war erst einmal eine Kreuzung angesagt. Wir hatten jetzt Zeit uns einmal den Führerstand genauer anzuschauen, der durch seine Schlichtheit überraschte. So erzählte unser Meister u.a. das die V200 so eine Art Antiblockiersystem besitzen. Nur so n richtiges „ABS“ wie wir es kennen, ist es nun auch wieder nicht. Vielmehr warnt ein grausiger Summton akustisch und ein oranges Lämpchen visuell, vor dem Durchdrehen der Räder. Dies dient als Schutz für die empfindlichen Fahrmotoren die beim durchdrehen der Räder Schaden nehmen konnten.
Nachdem uns die „Ferkeltaxe“ nach Altenburg überholt hat, kam noch der Nahgüterzug aus Meuselwitz mit 220 176, die mit kurzen Gruß an uns vorbei rumpelte und ihrem Ziel Zeitz entgegenstrebte.
Nun hatten wir wieder freie Fahrt und das Ausfahrsignal von Rehmsdorf reckte seine zwei Flügel stolz in die Hohe. Heute ist dieser Bahnhof unbesetzt und Kreuzungsgleise gibt es nicht mehr.
Wieder dröhnte und vibrierte der Führerstand bei der Anfahrt, dabei surrten die Fahrrnotoren los, wie bei einer alten Berliner S-Bahn. Wir rollten nun Meuselwitz entgegen, dabei fuhren wir an den Ruinen der ehemaligen Brikettfabrik Zipsendorf vorbei und durchfuhren den ehemaligen Regel- und schmalspurigen Bahnhof Wuitz-Mumsdorf.
Im Endspurt ging es nun die letzte Steigung im Bahnhof Meuselwitz herauf, denn wir hatten noch genügend Schwung drauf. Im Bahnhof Meuselwitz stand schon 220 247, die aus Altenburg gekommen war. Langsam wird abgebremst – was auch ein Zeichen für den Hintermann war – zuzumachen.
Dieser war allerdings zu übereifrig und bremste voll ab. So kam unser Kohlezug noch weit vor dem Signal zum stehen und das Zugende mit der 232 hing noch halb in Zeitz.
Die Rangierer winkten uns heran und unser Meister versuchte seiner „137″ die Sporen zu geben, in der Hoffnung das der 232er Mann seine Maschine noch mal startete. Doch die 220 137 brummte nur noch laut auf und schien wie ein unartiges Kind auf der Stelle zu strampeln. bis sich schließlich das „ABS“ meldete (eine ungewollte Verführung des Systems) und wir schließlich aufgaben. Allein schafft es die 220 nicht, den in der Steigung liegenden Zug mit der 232 zu bewegen.
Hier waren wir nun am Ende unserer Reise angelangt. 220 137 musste nun ihren Zug zur BriFa Phoenix bringen und 220 247 übernahm einen Leerzug nach Zeitz. Auch die 232 stand wieder vor einem Leerzug. Unser Meister hatte noch bis in die Nacht Dienst., dann war für ihn das Kapitel „V200“ abgeschlossen. Erst ein paar Tage später wurde ihm bewusst, was sich eigentlich verändert hat und das er nie wieder auf einer „Wumme“ fahren wird.
Am 26 Mai 1994 wurde in Leipzig-Wahren die V200 offiziell verabschiedet. Doch noch zur gleichen Zeit mussten immer noch diese Kohlependel mit 220 befördert werden.
Es sollten noch Monate vergehen, bis die letzte V200 in Dresden ihren Dienst quittierte.
Seit dieser Zeit hat sich einiges Verändert. V200 fahren zwar wieder aber ausschließlich bei Privatanbietern und die Est Zeitz ist fast nur noch eine Ruine, ohne Drehscheibe und eingestürzten Dach. Die Brikettfabrik Phönix existiert auch nicht mehr. Nur nach das Kraftwerk in Mumsdorf erhält einige Kohlezüge. Die Strecke Zeitz-Altenburg sieht traurig aus, vor allem die Bahnhöfe sind verfallen und der Reiseverkehr zwischen beiden Mittelzentren ist eingestellt. Der Bahnhof Meuselwitz entwickelte sich zum Erlebnisbahnhof, die Kohlebahn hat hier das Bw wieder hergerichtet und Bahnsteige gebaut. Leider kann man zur fahrt mit der Kohlebahn nicht mehr auf der Schiene anfahren.
Und da hieß es immer, mit der Privatisierung der Bahn wird alles besser…….
(C) 1997 Thomas Nitsch